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Angsterkrankungen

Angst ist ein Urinstinkt und schützt uns vor Gefahren und Übermut und ist somit in erster Linie überlebensnotwendig. Bei manchen Menschen tritt aber ein übersteigertes Angst- oder Furchtempfinden auf, ohne dass Gefahr oder Bedrohung unmittelbar vorliegt. In diesem Fall spricht man von einer Angsterkrankung, Angststörung oder Phobie.

 

Angsterkrankungen zählen neben Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen in Europa. Dennoch werden sie oft nicht erkannt und auch nicht leitliniengerecht behandelt. Angsterkrankungen haben viele, unterschiedliche Ursachen und werden durch biologische, umweltbedingte und psychosoziale Risikofaktoren bestimmt. So können genetische oder epigenetische Mechanismen, Umwelteinflüsse wie Traumata oder auch akuter oder chronischer Stress oder dysfunktionale neurologische Netzwerke eine Angsterkrankung auslösen. Psychologische Risikofaktoren wie gewisse Erziehungs- und Bindungsstile oder auch Lernerfahrungen, familiäre Faktoren oder Emotionsregulationsdefizite können weitere Hebel sein. Angsterkrankungen sind häufig komorbid untereinander und werden nicht selten von Depressionen und Suchterkrankungen begleitet. Die Erkrankungen bedingen einander aber auch. Angst kann Depressionen machen und umgekehrt.

 

In ungefähr 50 Prozent der Fälle werden Angsterkrankungen mit den Genen vererbt. Betroffene tragen ein erhöhtes Risiko für eine Angsterkrankung. Ob diese jedoch tatsächlich ausbricht, hängt auch von äußeren Einflüssen wie belastenden Ereignissen in der Kindheit oder im aktuellen Leben ab. Seit einigen Jahren widmet die Forschung der Rolle der Epigenetik bei der Entstehung und Therapie von Angsterkrankungen besondere Aufmerksamkeit. Mit Hilfe der Epigenetik konnte gezeigt werden, dass biologische Risikofaktoren und auslösende Umweltfaktoren wie Traumata oder Stress in Beziehung miteinander korrelieren.

 

Betroffene sind ihrer Angsterkrankung aber keineswegs hilflos ausgeliefert. Sie sich einzugestehen, sich zu informieren und sich psychiatrisch-psychotherapeutische Hilfe zu holen, sind entscheidende Schritte, um der Angst die Macht zu nehmen.

 

Diagnostik und Symptome

  • Es gibt verschiedene Angsterkrankungen.

    Die Symptome können von Mensch zu Mensch variieren und auch sehr verschieden ausgeprägt sein. Folgende Formen werden unterschieden:

     

    Panikstörung Bei Panikstörungen treten Angstattacken meistens völlig unvermittelt, ohne äußeren Auslöser auf. Betroffene haben auf einmal massive Angst, ihr Herz rast, sie zittern und schwitzen, haben Atemnot und ein Gefühl von Ohnmacht. Die Angst schnürt ihnen die Kehle zu. Viele fürchten, die Kontrolle zu

     

    verlieren, wahnsinnig zu werden oder zu sterben. Die Panikattacken können aus heiterem Himmel auftreten, aber auch nur in speziellen Situationen oder an bestimmten Orten – in diesem Fall oft in Verbindung mit einer Agoraphobie. Eine Attacke kann Minuten oder im Extremfall auch Stunden anhalten – die meisten Panikattacken dauern jedoch nicht länger als 30 Minuten. Die Häufigkeit der Attacken kann zwischen mehrfach täglich bis monatlich schwanken. Betroffene sind oft über Wochen oder Monate innerlich unruhig und angespannt und nicht in der Lage, den Alltag zu meistern.

     

    Agoraphobie Wenn Menschen Angst haben, zum Beispiel in Bus, Bahn oder Flugzeug zu reisen, einen Fahrstuhl zu betreten, im Supermarkt einzukaufen oder wegen der vielen Menschen ein Konzert zu besuchen, leiden sie an einer Agoraphobie, die häufig mit einer Panikstörung einhergeht.

     

    Generalisierte Angststörung Ständige Sorgen, auch wenn dafür kein Grund besteht, quälen die Betroffenen. Sie leben in ständiger Anspannung und Furcht, dass zum Beispiel sie selbst, Angehörige oder Freunde schwer erkranken, einen Unfall erleiden, sie verarmen oder eine Katastrophe eintreten könnte. Wie Menschen mit einer Panikstörung leiden auch sie an den körperlichen Symptomen wie etwa Herzklopfen, Zittern und Schwindel, allerdings dauerhaft. Sie sind unkonzentriert, die Muskeln verkrampft, gereizt und können nur schwer einschlafen.

     

    Soziale Phobie Kennzeichen dieser Erkrankung ist, Situationen zu vermeiden, in denen man fürchtet, sich zu blamieren oder von anderen negativ beurteilt zu werden. Sich in einem Meeting zu Wort zu melden, vor Gericht als Zeuge auszusagen, Behördengänge, einem Mann/einer Frau zu begegnen, löst bei den Betroffenen Angst aus. Sie erröten häufig, ihre Hände zittern, das Herz schlägt bis zum Hals, ihnen ist übel, die Blase drückt, die Beine sind weich. Die Folge: Sie vermeiden den Kontakt mit anderen Menschen, was bis hin zur sozialen Isolation führen kann.

     

    Spezifische Phobie Den Menschen jagen beispielsweise Katzen, Mäuse, Vögel oder Spinnen, furchtbare Angst ein. Ihre Angst kann sich aber auch auf tiefes Wasser, hohe Berge, Gewitter, Dunkelheit, den Arztbesuch oder Injektionen beziehen. Das heißt, sie fürchten sich vor einem bestimmten Objekt oder einer ganz speziellen Situation.

Behandlung

  • Zahlreiche Studien konnten belegen, dass spezifisch für die Angstbehandlung entwickelte Psychotherapieangebote hochgradig erfolgreich sein können.

    Wissenschaftler vermuten, dass bei den Betroffenen die Botenstoffe wie Serotonin, Noradrenalin oder Gamma-Aminobuttersäure (GABA) im Gehirn aus dem Gleichgewicht geraten sind. Die S3-Leitlinien zur Behandlung von Angsterkrankungen empfehlen eine multimodale Therapie, d. h. die Kombination aus Medikamenten und Psychotherapie, wobei die „Präferenz des informierten Patienten“ zu berücksichtigen ist. Mit Arzneien beispielsweise, die dafür sorgen, dass mehr Serotonin – auch bekannt als Glückshormon – für die Hirnzellen zur Verfügung steht, lassen sich Panikstörungen gut behandeln. Sie reichen aber oftmals nicht aus, um der Panik vollends zu entkommen. Zahlreiche Studien konnten belegen, dass spezifisch für die Angstbehandlung entwickelte Psychotherapieangebote hier hochgradig erfolgreich sein können.

     

    Auch die Kognitive Verhaltenstherapie kann Betroffenen helfen, sich ihrer Angst in furchtauslösenden Situationen zu stellen. Ihr wird auch in den S3-Leitlinien der höchste Evidenz- und Empfehlungsgrad zugesprochen. Dabei geht es darum, dass Patienten ihr eigenes Verhalten (gedanklich, emotional, motorisch) im Umgang mit der Angst verändern. Kernbehandlung ist die Konfrontation mit der Angstsituation. Neueste Technologien kommen der Kognitiven Verhaltenstherapie dabei zugute. So lassen sich für Patienten z. B. mit Höhen- oder Flugangst Expositionsübungen in der virtuellen Realität (VR) durchführen. Auch Techniken des Ecological Momentary Assessment (EMA) können helfen, Patienten über Uhren oder Apps auf dem Smartphone in ihrem Alltag zu monitoren und z. B. im Fall einer Agoraphobie den Bewegungsradius zu dokumentieren. Verfahren der computer- oder internetgestützten Psychotherapie kommt zunehmend Bedeutung zu, wobei diese eine „face-to-face“-Psychotherapie nicht ersetzen können.

     

    Hilfreich sind auch Psychoedukation und die kognitive Vorbereitung Betroffener. Hier geht es darum, durch Verhaltensanalysen Verständnis für die eigene Angst und ihre Ursachen zu entwickeln. Zusammen mit dem Betroffenen werden individuelle Angstsymptome, Angstsituationen analysiert und Vermeidungstechniken eingeübt.

Weitere Informationen:

S3-Leitlinie Angststörungen

Gesellschaft für Angstforschung

Deutsche Angst-Hilfe e. V.